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Albrecht von Haller
Versuch Schweizerischer Gedichte
 


 






 




V o r r e d e.

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Es ist mir etwas unerwartetes, daß ich eine neue Auflage dieser Gedichte zu besorgen mich habe bereden lassen. Da ich unmöglich mehr zu dieser Art von Geschäften eine durch so viele Pflichten umschränkte Zeit anwenden kan, so habe ich dem Leser wenig neues zu verprechen. Indessen habe ich gehofft, es würde vielen nicht unangenehm seyn, wann ich theils bey jedem Stück insbesondere einige Anmerkungen zu desselben Erläuterung beyfügte, theils auch hier, von meinen Bemühungen in der Dichtkunst, einige Gedanken bekannt machte.

    Meine Liebe zur Poesie war am heftigsten, wie ich noch keine Kräfte hatte, etwas mir oder andern gefälliges hervor zu bringen. Meine Freunde werden mir es, nach meiner so ernstlich bezeugten Sinnes=Aenderung, vergeben, wann ich sage, daß Lohenstein mein erstes Vorbild, und meine Aufmunterung zum Dichten gewesen.

    Die Kenntnüß guter Bücher in verschiedenen Sprachen benahm mir leicht den wenigen Beyfall, den ich meinen jugendlichen Gedichten hätte geben mögen. Ich maß mich gegen allzugrosse Muster, und muste mich nothwendig sehr klein finden. Eine algemeine Zernichtung aller meiner mühsamen Kleinigkeiten, war die Frucht einer Erkenntnüß. Ich verschonte sehr wenige mit dem Feuer, und dennoch, wie ich es nachher gewahr geworden, noch zu viele.

    Nach meinen Reisen, und hauptsächlich zu Basel, befiel mich die poetische Krankheit wieder, nachdem ich mehrere Jahre nichts mehr von dieser Art gewagt hatte. Der angenehme und rechtschaffene Hr. Drollinger, der getreue und forschende Hr. P. Stähelin, und einige andere dortige Freunde ermunterten mich zu einer neuen Probe.

    Ich hatte indessen die Englischen Dichter mir bekannter gemacht, und von denselben die Liebe zum Denken, und den Vorzug der schweren Dichtkunst angenommen. Die philosophischen Dichter, deren Grösse ich bewunderte, verdrangen bald bey mir das geblähte und aufgedunstene Wesen des Lohensteins, der auf Metaphoren, wie auf leichten Blasen schwimmt.

    Hieraus entstund bey mir die neue Art zu dichten, die so vielen Deutschen zu mißfallen das Unglück gehabt hat, die ich aber so wenig bereue, daß ich wünschen möchte, noch viel mehr Gedanken in viel wenigere Zeilen gebracht zu haben. Nach meinem Begriffe, muß man die Aufmerksamkeit des Lesers niemahls abnehmen lassen. Dieses geschiehet ohnfehlbar, auf eine mechanische Weise, so bald man ihm einige leere Zeilen vorlegt, wobey er nichts zu denken findet. Ein Dichter muß Bilder, lebhafte Figuren, kurze Sprüche, starke Züge, und unerwartete Anmerkungen auf einander häufen, oder gewärtig seyn, daß man ihn weglegt.

    Mein Vaterland verschafte mir wiederum einige Anlässe, da die Liebe, die Freundschaft, die Hochachtung, und die Gefälligkeit, mich dichten hiessen. Aber ganz andere Arbeiten waren mein Hauptwerk, und mich dünkt, es wäre billig, einem solchen gelegentlichen Verfasser vieles zu verzeihen, das einem eigentlichen Dichter nicht vergeben würde, der sein Leben einzig der Poesie weiht, und also seine Arbeiten auszumahlen, und seine Fehler auszulöschen, Zeit und Beruf hat.

    Diejenigen, die man mir vorgerückt hat, sind mehrentheils Sprachfehler. Aber ich bin ein Schweizer, die deutsche Sprache ist mir fremd, und die Wahl der Wörter war mir fast unbekannt. Der Ueberfluß der Ausdrücke fehlte mir völlig, und die schweren Begriffe, die ich einzukleiden hatte, machten die Sprache für mich noch enger. Ich wundre mich selbst nicht, wann vieles nicht nur ungewöhnliches, sondern auch undeutsches mir entfallen ist. Meine so oft wiederholte Bemühung mich von diesen Fehlern zu befreyen, zeigt genug, wie wenig ich Sprachfehler für Schönheiten ansehe.

    Es ist das dritte *) mahl, daß ich an dieser Ausbesserung arbeite, und dennoch werde ich diejenigen ihres Vergnügens nicht beraubet haben, die das ihrige im tadeln suchen. Tausend andre Geschäfte erdrücken mich, und lassen mir wenig Augenblicke übrig, die in meiner Gewalt wären, und die ich einem so unnöthigen und unwichtigen Dinge weyhen könnte, als meine Reime in meinen Augen sind. Bey vielen Stellen habe ich keinen Ausweg finden können, und lieber einen Sprachfehler, als einen matten Gedanken, stehen lassen wollen. Ich bitte diejenigen, die die Reinigkeit der Sprache zum Hauptwesen der Dichtkunst machen, nur den Opiz ohne Vorurtheil durchzusehen. Sie werden leicht gestehen, daß man mit Provinzial=Wörtern, mit ungewöhnlichen Ausdrücken, und mit würklichen Fehlern wieder die Sprachkunst, dennoch ihren eigenen Beyfall, und ihre Verwunderung habe erhalten können.

    Ich habe wenig neues dem Leser anzubieten. Das meiste, das ich hier liefre, war schon geschrieben, wie die lezte Ausgabe besorgt wurde. Ich ließ es damahls als unvollkommen zurücke, und vielleicht that ich besser, als izt, da ich es bekannt mache. Doch einige Stücke waren schon besonders abgedrukt, und ich muß mich ja noch mehr scheuen, meinen Freunden mit alzugrosser und schüchterner Vorsicht zu misfallen, als andern, deren Freundschaft und Tadel mir von minderer Wichtigkeit sind.

    Endlich kan ich unmöglich mich entschliessen, meine Erkenntlichkeit gegen meine Vertheidiger, und insbesondere gegen den gütigen Unbekannten, der meine Muse zu retten sich die Mühe gegeben hat, unbezeugt zu lassen. Ich bin vollkommen überzeugt, daß, ohne diese Schuz=Schriften, meine verwaiseten Poesien, durch ihre eigenen Kräfte, niemals sich dem ernstlichen Vorsaz hätten widersetzen können, den man zu ihrem Verderben gefaßt hatte. Wenige Leser urtheilen aus eigener Ueberlegung, noch weniger haben auch, wann sie selber wägen wollen, eine richtige Waage. Es ist also ein Glück für mich gewesen, daß sich Freunde gefunden haben, die ohne die geringste Hoffnung eines Dankes von mir, so kräftig für mich gesprochen, daß einige Richter ihr Urtheil wiederrufen, andre es gemildert, und noch andre zu meiner Gedichte Vortheil ihre Gedanken geändert haben. Göttingen den 26. Januar.
    1748.

 
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    *)
und jezt das fünfte
 
 
 
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