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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A

 

 

 

 
Edmund Husserl
1859 - 1938
 


 






 



D i e   P a r i s e r
V o r t r ä g e


E r s t e   D o p p e l v o r l e s u n g
a m   2 3 .  F e b r u a r   1 9 2 9


[Die Cartesianischen Meditationen
und ihre kritische Umbildung
zur meditierenden Erschließung
des transzendentalen ego]


______________________________________


1. Teil

An dieser ehrwürdigsten Stätte französischer Wissenschaft über die neue Phänomenologie sprechen zu dürfen, erfüllt mich aus besonderen Gründen mit Freudigkeit. Denn kein Philosoph der Vergangenheit hat auf den Sinn der Phänomenologie so entscheidend gewirkt wie Frankreichs größter Denker René Descartes. Ihn muß sie als ihren eigentlichen Erzvater verehren. Ganz direkt, ausdrücklich sei es gesagt, hat das Studium der Cartesianischen Meditationen in die Neugestaltung der werdenden Phänomenologie eingegriffen und ihr diejenige Sinnesform gegeben, die sie jetzt hat und die es fast gestattet, sie einen neuen Cartesianismus zu nennen, einen Cartesianismus vom 20. Jahrhundert

     Bei dieser Sachlage darf ich wohl im Voraus Ihres Anteils sicher sein, wenn ich an diejenigen Motive der Meditationes de prima philosophia anknüpfe, denen, wie ich glaube, eine Ewigkeitsbedeutung zukommt, und wenn ich daran anschließend die Umbildung und Neubildung kennzeichne, in welchen das Eigentümliche der phänomenologischen Methode und Problematik entspringt.

     Jeder Anfänger der Philosophie kennt den merkwürdigen Gedankenzug der Meditationen. Ihr Ziel ist, wie wir uns erinnern, eine völlige Reform der Philosophie, darin beschlossen die aller Wissenschaften. Denn sie sind nur unselbständige Glieder der einen universalen Wissenschaft, der Philosophie. Nur in ihrer systematischen Einheit können sie zu echter Rationalität gebracht werden - die ihnen, so wie sie bisher erwachsen sind, fehlt. Es bedarf eines radikalen Neubaues, der der Idee der Philosophie als universaler Einheit der Wissenschaften in der Einheit einer absolut rationalen Begründung genugtut. Diese Forderung des Neubaues wirkt sich bei Descartes in einer subjektiv gewendeten Philosophie aus. Diese subjektive Wendung vollzieht sich in zwei Stufen.

     Fürs erste: Jeder, der ernstlich Philosoph werden will, muß sich einmal im Leben auf sich selbst zurückziehen und in sich den Umsturz aller vorgegebenen Wissenschaften und ihren Neubau versuchen. Philosophie ist eine ganz persönliche Angelegenheit des Philosophierenden. Es handelt sich um seine sapientia universalis, das ist um sein ins Universale fortstrebendes Wissen - aber um ein echt wissenschaftliches, das er von Anfang an und in jedem Schritte absolut verantworten kann aus seinen absolut einsichtigen Gründen. Ich kann zum echten Philosophen nur werden durch meinen freien Entschluß, diesem Ziel entgegenleben zu wollen. Habe ich mich dazu entschlossen, somit den Anfang erwählt aus absoluter Armut und den Umsturz, so ist natürlich ein Erstes, mich zu besinnen, wie ich den absolut sicheren Anfang und die Methode des Fortgangs finden könnte, wo mir jede Stütze vorgegebener Wissenschaft fehlt. Die Cartesianischen Meditationen wollen also nicht eine Privatangelegenheit des Philosophen Descartes sein, sondern das Urbild der notwendigen Meditationen jedes neuanfangenden Philosophen überhaupt.

     Wenden wir uns nun dem uns Heutigen so befremdlichen Inhalt der Meditationen zu, so vollzieht sich darin alsbald ein Rückgang auf das philosophierende ego in einem zweiten und tieferen Sinne. Es ist der bekannte epochemachende Rückgang auf das ego der reinen cogitationes. Es ist das ego, das sich als das einzig apodiktisch gewiß Seiende vorfindet, während es das Dasein der Welt, als nicht gegen möglichen Zweifel gesichert, außer Geltung setzt.

     Dieses ego vollzieht nun zunächst ein ernstlich solipsistisches Philosophieren. Es sucht apodiktisch gewisse Wege, durch die sich in der reinen Innerlichkeit eine objektive Äußerlichkeit erschließen läßt. Das geschieht bei Descartes in der bekannten Weise, daß zunächst Gottes Existenz und veracitas erschlossen werden und dann mittels ihrer die objektive Natur, der Dualismus der Substanzen, kurz der objektive Boden der positiven Wissenschaften und diese selbst. Alle Schlußweisen erfolgen am Leitfaden von Prinzipien, die immanent, die dem ego eingeboren sind.

     Soweit Descartes. Wir fragen nun: Lohnt es sich eigentlich, einer Ewigkeitsbedeutung dieser Gedanken kritisch nachzuspüren? Sind sie geeignet, unserer Zeit lebendige Kräfte einzuflößen?

     Bedenklich ist jedenfalls, daß die positiven Wissenschaften, die doch durch diese Meditationen eine absolut rationale Begründung erfahren sollten, sich um sie so wenig gekümmert haben. Allerdings in unserer Zeit fühlen sie sich trotz der glänzenden Entwicklung der drei Jahrhunderte durch die Unklarheit ihrer Grundlagen sehr gehemmt. Aber es fällt ihnen doch nicht ein bei der Neugestaltung der Grundbegrifflichkeit auf die Cartesianischen Meditationen zurückzugreifen.

     Andererseits wiegt es doch schwer, daß die Meditationen in der Philosophie in einem ganz einzigen Sinn Epoche gemacht haben, und zwar gerade durch ihren Rückgang auf das ego cogito. Descartes inauguriert in der Tat eine völlig neuartige Philosophie. Diese nimmt, ihren gesamten Stil verändernd, eine radikale Wendung vom naiven Objektivismus in einen transzendentalen Subjektivismus, der in immer neuen und doch immer ungenügenden Versuchen zu einer reinen Endgestalt hinstrebt. Sollte also diese fortgehende Tendenz nicht einen Ewigkeitssinn in sich tragen, für uns eine große, von der Geschichte selbst uns auferlegte Aufgabe, an der mitzuarbeiten wir alle berufen sind?

     Die Zersplitterung der gegenwärtigen Philosophie in ihrer rastlosen Betriebsamkeit gibt uns zu denken. Ist sie nicht darauf zurückzuführen, daß in ihr die von Descartes' Meditationen ausstrahlenden Triebkräfte ihre ursprüngliche Lebendigkeit eingebüßt haben? Sollte das nicht die einzig fruchtbare Renaissance sein, die diese Meditationen wiedererweckt, nicht sie zu übernehmen, sondern den tiefsten Sinn ihres Radikalismus im Rückgang auf das ego cogito allererst zu enthüllen und die von da entsprießenden Ewigkeitswerte?

     Jedenfalls bezeichnet sich damit der Weg, der zur transzendentalen Phänomenologie geführt hat.

     Diesen Weg wollen wir nun gemeinsam beschreiten. Cartesianisch wollen wir als radikal anfangende Philosophen Meditationen vollziehen, natürlich in steter kritischer Umbildung der altcartesianischen. Was in diesen bloß Keimanlage war, soll zu freier Entfaltung gebracht werden.

     Wir fangen also an, jeder für sich und in sich, mit dem Entschluß alle uns vorgegebenen Wissenschaften außer Geltung zu setzen. Das Descartes leitende Ziel absoluter Wissenschaftsbegründung lassen wir nicht fahren, aber zunächst soll nicht einmal seine Möglichkeit als Präjudiz vorausgesetzt werden. Wir begnügen uns damit, uns in das Tun der Wissenschaften hineinzuversetzen und daraus ihr Ideal der Wissenschaftlichkeit als das zu entnehmen, worauf sie, worauf Wissenschaft hinauswill. Ihrem Absehen nach soll nichts als wirklich wissenschaftlich gelten, was nicht durch vollkommene Evidenz begründet ist, d. h. auszuweisen ist durch Rückgang auf die Sachen oder Sachverhalte selbst in ursprünglicher Erfahrung und Einsicht. Davon geleitet machen wir anfangende Philosophen uns zum Prinzip, nur in Evidenz zu urteilen und die Evidenz selbst kritisch nachzuprüfen, auch das selbstverständlich wieder in der Evidenz. Haben wir am Anfang die Wissenschaften außer Geltung gesetzt, so stehen wir im vorwissenschaftlichen Leben, und darin fehlt es ja auch nicht an Evidenzen, an unmittelbaren und mittelbaren. Das und nichts anderes haben wir zunächst.

     Von da aus ergibt sich für uns die erste Frage: Können wir nicht unmittelbare und apodiktische Evidenzen aufweisen, und zwar an sich erste, d. h. solche, die allen sonstigen Evidenzen notwendig vorangehen müssen?

     Indem wir meditierend dieser Frage nachgehen, scheint sich zunächst als in der Tat an sich erste aller Evidenzen und als apodiktische die von der Existenz der Welt darzubieten. Auf die Welt beziehen sich alle Wissenschaften und vor ihnen schon das handelnde Leben. Allem voran ist das Dasein der Welt selbstverständlich - sosehr, daß niemand daran denken kann, es ausdrücklich in einem Satze auszusprechen. Haben wir doch die kontinuierliche Welterfahrung, in der uns diese Welt immerfort und fraglos seiend vor Augen steht. Aber ist diese Erfahrungsevidenz wirklich apodiktisch trotz ihrer Selbstverständlichkeit und ist sie wirklich die an sich erste, allen anderen vorangehende? Beides werden wir verneinen müssen. Erweist sich nicht im Einzelnen manches als Sinnenschein? Kommt es nicht vor, daß selbst der ganze, einheitlich überschaubare Erfahrungszusammenhang als bloßer Traum entwertet wird? Descartes' Versuch <eines> durch eine allzu flüchtige Kritik der sinnlichen Erfahrung geführten Beweises für die Denkbarkeit des Nicht-seins der Welt, trotzdem sie beständig erfahren sei, wollen wir nicht in Anspruch nehmen. Wir behalten nur soviel, daß die Evidenz der Erfahrung zu Zwecken einer radikalen Wissenschaftsbegründung jedenfalls erst einer Kritik ihrer Giltigkeit und Tragweite bedürfte, daß wir sie also nicht als fraglos und unmittelbar apodiktisch in Anspruch nehmen dürfen. Es genügt demgemäß nicht, alle uns vorgegebenen Wissenschaften außer Geltung zu setzen, sie als Vorurteile zu behandeln, auch ihren universalen Boden, den der Welterfahrung müssen wir der naiven Geltung berauben. Das Sein der Welt darf nicht mehr für uns selbstverständliche Tatsache sein, sondern selbst nur ein Geltungsproblem.

     Bleibt uns jetzt überhaupt noch ein Seinsboden übrig, noch ein Boden für irgendwelche Urteile, Evidenzen, um darauf - und apodiktisch - eine universale Philosophie begründen zu können? Ist nicht die Welt der Titel für das Universum des überhaupt Seienden? Sollte sie am Ende gar nicht der an sich erste Urteilsboden sein, vielmehr mit ihrer Existenz schon ein an sich früherer Seinsboden vorausgesetzt sein?

     Hier machen wir nun, ganz Descartes folgend, die große Wendung, die, recht vollzogen, zur transzendentalen Subjektivität führt: die Wendung zum ego cogito als dem apodiktisch gewissen und letzten Urteilsboden, auf den jede radikale Philosophie zu gründen ist.

     Überlegen wir: Als radikal meditierende Philosophen haben wir jetzt weder eine für uns geltende Wissenschaft noch eine für uns seiende Welt. Statt schlechthin seiend, das ist uns in natürlicher Weise im Seinsglauben der Erfahrung geltend, ist sie uns nur noch ein bloßer Seinsanspruch. Das betrifft auch alle anderen Ich, so daß wir rechtmäßig nicht eigentlich im kommunikativen Plural sprechen dürfen. Die anderen Menschen und Tiere sind für mich ja nur gegeben vermöge der sinnlichen Erfahrung, deren Giltigkeit als mit in Frage stehend ich mich nicht bedienen darf. Mit den Anderen verliere ich natürlich auch die ganzen Gebilde der Sozialität und der Kultur, kurzum die ganze konkrete Welt ist für mich statt seiend nur Seinsphänomen. Aber wie immer es sich mit dem Wirklichkeitsanspruch dieses Seinsphänomens verhalten mag, ob Sein oder Schein, es selbst als mein Phänomen ist doch nicht nichts, sondern eben das, was für mich Sein und Schein überall möglich macht. Und wieder: Enthalte ich mich, wie ich es in Freiheit tun könnte und tat, jedes Erfahrungsglaubens, so daß für mich das Sein der Erfahrungswelt außer Geltung bleibt, so ist doch dieses Mich-enthalten, was es in sich ist mitsamt dem ganzen Strom des erfahrenden Lebens und all seinen Einzelphänomenen, den erscheinenden Dingen, den erscheinenden Nebenmenschen, Kulturobjekten usw. Alles bleibt, wie es war, nur daß ich es nicht einfach als seiend hinnehme, sondern mich aller Stellungnahme zu Sein und Schein enthalte. Auch meiner sonstigen Meinungen, Urteile, meiner wertenden Stellungnahmen in Bezug auf die Welt muß ich mich enthalten als das Sein der Welt voraussetzend, und auch für sie bedeutet das Mich-enthalten nicht ihr Verschwinden, nämlich als bloße Phänomene.

     Also dieses universale Inhibieren aller Stellungnahmen zur objektiven Welt, das wir die phänomenologische Epoché nennen, wird gerade zum methodischen Mittel, wodurch ich mich als dasjenige Ich rein erfasse und dasjenige Bewußtseinsleben, in dem und durch das die gesamte objektive Welt für mich ist und ist, wie sie eben für mich ist. Alles Weltliche, alles raum-zeitliche Sein ist für mich dadurch, daß ich es erfahre, wahrnehme, mich seiner erinnere, daran irgendwie denke, es beurteile, es werte, begehre usw. Das alles bezeichnet Descartes bekanntlich unter dem Titel cogito. Die Welt ist für mich überhaupt gar nichts anderes als die in solchen cogitationes bewußt seiende und mir geltende. Ihren ganzen Sinn und ihre Seinsgeltung hat sie ausschließlich aus solchen cogitationes. In ihnen verläuft mein ganzes Weltleben. Ich kann in keine andere Welt hineinleben, hineinerfahren, hineindenken, hineinwerten und -handeln, die nicht in mir und aus mir selbst Sinn und Geltung hat. Stelle ich mich über dieses ganze Leben und enthalte ich mich jedes Vollzuges irgendeines Seinsglaubens, der geradehin Welt als seiend nimmt - richte ich ausschließlich meinen Blick auf dieses Leben selbst als Bewußtsein von der Welt, so gewinne ich mich als das reine ego mit dem reinen Strom meiner cogitationes.

     Ich gewinne mich nicht etwa als ein Stück der Welt, da ich doch universal die Welt außer Geltung gesetzt hatte, nicht als den vereinzelten Menschen Ich, sondern als das Ich, in dessen Bewußtseinsleben eben die ganze Welt und ich selbst als Weltobjekt, als in der Welt seiender Mensch erst seinen Sinn und seine Seinsgeltung erhält.

     Hier stehen wir an einem gefährlichen Punkt. Es scheint so leicht, Descartes folgend das reine ego und seine cogitationes zu erfassen. Und doch ist es, als wären wir auf einem steilen Felsgrat, auf dem ruhig und sicher fortzuschreiten über philosophisches Leben und philosophischen Tod entscheidet. Descartes hatte den reinsten Willen zu radikaler Vorurteilslosigkeit. Aber wir wissen durch neuere Forschungen und insbesondere die schönen und tiefgründigen der Herrn Gilson und Koyré, wie viel Scholastik im Verborgenen und als ungeklärtes Vorurteil in Descartes' Meditationen steckt. Aber nicht das allein, zunächst schon die aus der Blickrichtung auf die mathematische Naturwissenscllaft stammenden, für uns selbst kaum merklichen Vorurteile müssen wir uns vom Leibe halten, als ob es sich unter dem Titel ego cogito um ein apodiktisches Grundaxiom handle, das im Verein mit anderen (davon her abzuleitenden) das Fundament für eine deduktive Weltwissenschaft abzugeben habe, eine Wissenschaft ordine geometrico. Im Zusammenhang damit darf es keineswegs als selbstverständlich gelten, als ob wir in unserem apodiktisch reinen ego ein kleines Endchen der Welt gerettet hätten als das für das philosophierende Ich einzig Unfragliche von der Welt, und daß es nun darauf ankomme, durch recht geleitete Schlußfolgerungen nach den dem ego angeborenen Prinzipien die übrige Welt hinzuzuerschließen.

     Leider so geht es bei Descartes mit der unscheinbaren, aber verhängnisvollen Wendung, die das ego zur substantia cogitans, zum abgetrennten menschlichen animus macht, zum Ausgangsglied für Schlüsse nach dem Kausalprinzip, kurzum der Wendung, durch die er zum Vater des widersinnigen transzendentalen Realismus geworden ist. All das bleibt uns fern, wenn wir dem Radikalismus der Selbstbesinnung und somit dem Prinzip reiner Intuition getreu bleiben, also nichts gelten lassen, als was wir auf dem uns durch die Epoché eröffneten Feld des ego cogito wirklich und zunächst ganz unmittelbar gegeben haben, also nichts zur Aussage bringen, was wir nicht selbst sehen. Darin hat Descartes gefehlt, und so kommt es, daß er vor der größten aller Entdeckungen steht, sie in gewisser Weise schon gemacht hat und doch ihren eigentlichen Sinn nicht erfaßt, den Sinn der transzendentalen Subjektivität, und so das Eingangstor nicht überschreitet, das in die echte transzendentale Philosophie hineinleitet.

     Die freie Epoché hinsichtlich des Seins der erscheinenden und überhaupt für mich als wirklich geltenden Welt - als wirklich in der früheren natürlichen Einstellung - zeigt ja diese größte und wunderbarste aller Tatsachen, nämlich daß ich und mein Leben in meiner Seinsgeltung unberührt bleibt, ob nun die Welt ist oder nicht ist oder wie immer darüber entschieden werden mag. Sage ich im natürlichen Leben: «Ich bin, ich denke, ich lebe», so sagt das: Ich, diese menschliche Person unter andern Menschen in der Welt, durch meinen körperlichen Leib im realen Zusammenhang der Natur stehend, in den nun auch meine cogitationes, meine Wahrnehmungen, Erinnerungen, Urteile usw. als psychophysische Tatsachen eingegliedert sind. So gefaßt, bin ich und sind wir, Menschen und Tiere, Themen objektiver Wissenschaften, der Biologie, Anthropologie und Zoologie, auch der Psychologie. Das Seelenleben, von dem alle Psychologie spricht, ist gemeint als Seelenleben in der Welt. Die phänomenologische Epoché, die der Gang der gereinigten Cartesianischen Meditationen von mir, dem Philosophierenden fordert, schaltet wie die Seinsgeltung der objektiven Welt überhaupt so auch die Weltwissenschaften und selbst schon als Welttatsachen aus meinem Urteilsfeld aus. Für mich gibt es also kein Ich und keine psychischen Akte, psychischen Phänomene im Sinne der Psychologie, für mich gibt es also auch nicht mich als Menschen, <nicht> meine eigenen cogitationes als Bestandstücke einer psychophysischen Welt. Aber dafür habe ich mich gewonnen und jetzt mich allein als dasjenige reine Ich mit dem reinen Leben und den reinen Vermögen (z.B. dem evidenten Vermögen: ich kann mich urteilend enthalten), durch das für mich Sein dieser Welt und jeweiliges So-sein überhaupt Sinn und mögliche Geltung hat. Heißt die Welt, da ihr eventuelles Nicht-sein mein reines Sein nicht aufhebt, ja es voraussetzt, transzendent, so heißt dann dieses mein reines Sein oder mein reines Ich transzendental. Mittels der phänomenologischen Epoché reduziert sich das natürliche menschliche Ich, und zwar das meine, auf das transzendentale, und so versteht sich die Rede von der phänomenologischen Reduktion.


2. Teil

Doch hier bedarf es weiterer Schritte, durch die, was hier herausgestellt worden ist, erst den rechten Nutzen gewinnen kann. Was ist mit dem transzendentalen ego philosophisch anzufangen? Gewiß, sein Sein geht evidentermaßen - für mich, den Philosophierenden - erkenntnismäßig allem objektiven Sein vorher. In gewissem Sinne ist es wohl der Grund und Boden, auf dem sich alle objektive Erkenntnis, gute und schlechte, abspielt. Aber besagt darum dieses Vorhergehen und in aller objektiven Erkenntnis Vorausgesetztsein, daß es Erkenntnisgrund im gewöhnlichen Sinne ist für diese objektive Erkenntnis? Der Gedanke, die Versuchung liegt nahe, es ist eben die aller realistischen Theorie. Aber die Versuchung verschwindet, in der transzendentalen Subjektivität Prämissen zu suchen für die Existenzsetzung der subjektiven Welt, wenn wir daran denken, daß alle Schlüsse, die wir vollziehen rein gefaßt, selbst in der transzendentalen Subjektivität verlaufen und alle auf die Welt zu beziehenden Bewährungen an der Welt selbst, als wie sie in der Erfahrung sich selbst gebend und bewährend ist, ihr Maß haben. Nicht als ob wir den großen Cartesianischen Gedanken, die tiefste Begründung objektiver Wissenschaften und des Seins objektiver Welt selbst in der transzendentalen Subjektivität zu suchen, für falsch erklären wollten. Wir würden ja sonst seinen meditierenden Wegen, sei es auch unter Kritik, nicht nachfolgen. Aber vielleicht eröffnet sich mit der Cartesianischen Entdeckung des ego auch eine neue Idee von Begründung, nämlich transzendentaler Begründung.

     In der Tat, anstatt das ego cogito als einen bloßen apodiktischen Satz zu verwerten und als absolut fundierende Prämisse, lenken wir unser Augenmerk darauf, daß die phänomenologische Epoché uns (oder mir, dem Philosophierenden) mit dem allerdings apodiktischen Ich bin eine neuartige unendliche Seinssphäre freigelegt hat, und zwar als eine Sphäre einer neuartigen, einer transzendentalen Erfahrung. Eben damit aber auch die Möglichkeit einer transzendentalen Erfahrungserkenntnis, ja einer transzendentalen Wissenschaft.

     Hier tut sich ein höchst merkwürdiger Erkenntnishorizont auf. Die phänomenologische Epoché reduziert mich auf mein transzendentales reines Ich, und zunächst wenigstens bin ich also in gewissem Sinne solus ipse: nicht im gewöhnlichen, etwa in dem <eines> bei einem Zusammensturz aller Gestirne ührig gebliebenen Menschen in der noch immer seienden Welt. Habe ich die Welt als die aus mir und in mir Seinssinn empfangende aus meinem Urteilsfeld verbannt, so bin ich, das ihr vorangehende transzendentale Ich, das einzig urteilsmäßig Setzbare und Gesetzte. Und nun soll ich eine Wissenschaft gewinnen, eine unerhört eigenartige, da sie, ausschließlich von meiner und in meiner transzendentalen Subjektivität geschaffen, auch nur für sie - zunächst wenigstens - gelten soll, eine transzendental-solipsistische Wissenschaft. Also nicht das ego cogito, sondern eine Wissenschaft vom ego, eine reine Egologie müßte das unterste Fundament der Philosophie im Cartesianischen Sinne der universalen Wissenschaft sein und müßte mindestens das Grundstück für deren absolute Begründung leisten. In der Tat ist diese Wissenschaft schon da als die unterste transzendentale Phänomenologie; die unterste, also nicht die volle, zu der ja selbstverständlich der weitere Weg vom transzendentalen Solipsismus zur transzendentalen Intersubjektivität gehört.

     Um dies alles verständlich zu machen, bedarf es zunächst der von Descartes versäumten Freilegung des unendlichen Feldes der transzendentalen Selbsterfahrung des ego. Die Selbsterfahrung, und sogar in der Bewertung als apodiktische, spielt bekanntlich bei ihm selbst eine Rolle, aber das ego in der ganzen Konkretion seines transzendentalen Daseins und Lebens zu erschließen und als ein systematisch in seine Unendlichkeiten zu verfolgendes Arbeitsfeld anzusehen, das lag ihm ferne. Für den Philosophen muß es als eine fundamentale Einsicht in den Mittelpunkt gestellt werden, daß er in der Einstellung transzendentaler Reduktion konsequent auf seine cogitationes und auf ihren rein phänomenologischen Gehalt reflektieren und dabei allseitig sein transzendentales Sein in seinem transzendental-zeitlichen Leben und in seinen Vermögen enthüllen kann. Es handelt sich hier offenbar um Parallelen zu dem, was der Psychologe in seiner Weltlichkeit innere oder Selbsterfahrung nennt.

     Von größter, ja entscheidender Wichtigkeit ist dann zu beachten, daß man nicht flüchtig daran vorbeigehen kann - was gelegentlich auch Descartes bemerkt hat - daß z. B. die Epoché hinsichtlich des Weltlichen nichts daran ändert, daß die Erfahrung Erfahrung von ihm ist, und so das jeweilige Bewußtsein Bewußtsein von ihm ist. Der Titel ego cogito muß um ein Glied erweitert werden: jedes cogito hat in sich als Vermeintes sein cogitatum. Die Hauswahrnehmung, auch wenn ich mich der Betätigung des Wahrnehmungsglaubens enthalte, ist, genommen wie ich sie erlebe, eben Wahrnehmung von diesem und gerade diesem, so und so erscheinenden, sich mit gerade den Bestimmungen, von der Seite, in der Nähe oder Ferne zeigenden Haus. Ebenso die klare oder vage Erinnerung Erinnerung von dem vage oder klar vorstelligen Haus, das noch so falsche Urteil Urteilsmeinung von dem und dem vermeinten Sachverhalt usw. Die Grundeigenschaft der Bewußtseinsweisen, in denen ich als Ich lebe, ist die sogenannte Intentionalität, ist jeweiliges Bewußthaben von etwas. Zu diesem Was des Bewußtseins gehören auch die Seinsmodi wie daseiend, vermutlich seiend, nichtig seiend, aber auch die Modi des Schein-seiend, gut-, wert- seiend usw. Phänomenologische Erfahrung als Reflexion muß von allen konstruktiven Erfindungen ferngehalten und muß als echte genau so konkret, genau mit dem Sinnes- und Seinsgehalt genommen werden, in dem sie eben auftritt.

     Es ist eine konstruktive Erfindung des Sensualismus, wenn man das Bewußtsein als Komplex von Sinnesdaten deutet und eventuell dann hinterher Gestaltqualitäten heranzieht und sie für die Ganzheit sorgen läßt. Das ist schon in der weltlich-psychologischen Einstellung grundfalsch und erst recht in der transzendentalen. Wenn phänomenologische Analyse in ihrem Fortgang unter dem Titel Empfindungsdaten auch etwas aufzuweisen hat, so ist es jedenfalls nicht ein Erstes in allen Fällen <äußerer Wahrnehmung>, sondern bei ehrlicher rein anschaulicher Beschreibung ist das erste, das cogito, etwa die Hauswahrnehmung als solche näher zu beschreiben nach gegenständlichem Sinn und nach Erscheinungsmodis. Und so für jede Bewußtseinsart.

     Geradehin auf das Bewußtseinsobjekt gerichtet finde ich es als etwas, das mit den und den Bestimmungen erfahren oder gemeint ist, im Urteilen als Träger von Urteilsprädikaten, im Werten als Träger von Wertprädikaten. Nach der anderen Seite blickend finde ich die wechselnden Weisen des Bewußtseins, das Wahrnehmungsmäßige, Erinnerungsmäßige, alles was nicht Gegenstand und gegenständliche Bestimmung selbst, aber subjektiver Gegebenheitsmodus, subjektive Erscheinungsweise ist wie Perspektive oder Unterschiede der Vagheit und Deutlichkeit, der Aufmerksamkeit und Unaufmerksamkeit etc.

     Sich als der meditierende Philosoph, der dabei selbst zum transzendentalen ego geworden ist, fortgehend über sich selbst besinnen, das heißt also, in die offen endlose transzendentale Erfahrung eintreten, sich nicht mit dem vagen ego cogito begnügen, sondern dem beständigen Fluß des cogitierenden Seins und Lebens nachgehen, es sich nach allem, was daran zu schauen ist, ansehen, explizierend eindringen, es beschreibend in Begriffe und Urteile fassen, und rein in solche, die aus diesen anschaulichen Bestanden ganz ursprünglich geschöpft sind.

     Es ist dann sogar ein dreifacher Titel als Schema der Auslegungen und Beschreibungen leitend, wie schon gesagt: ego cogito cogitatum. Sehen wir zunächst vom identischen Ich ab obwohl es gewissermaßen in jedem cogito steckt, so hebt sich doch leichter in der Reflexion das Unterschiedliche des cogito selbst ab, und sofort scheiden sich deskriptive Typen, in der Sprache sehr vage angedeutet <als> Wahrnehmen, Sich-erinnern, nach dem Wahrnehmen Eben-noch-im-Bewußtsein-haben, Vorerwarten, Wünschen, Wollen, prädikativ Aussagen usw. Aber nehmen wir es, wie es die transzendentale Reflexion konkret bietet, so kommt sofort der schon berührte Grundunterschied zwischen gegenständlichem Sinn und Bewußtseinsweise, eventuell Erscheinungsweise, in Betracht: also die - im Typischen betrachtet - Zweiseitigkeit, die eben die Intentionalität, das Bewußtsein als Bewußtsein von dem und dem macht. Das gibt immer doppelte Beschreibungsrichtungen.

     Hiebei ist also zu beachten, daß die transzendentale Epoché hinsichtlich der seienden Welt mit allen jeweils erfahrenen, wahrgenommenen, erinnerten, gedachten, urteilsmäßig geglaubten Objekten nichts daran ändert, daß die Welt, daß all diese Objekte als Erfahrungsphänomene, aber auch rein als solche, rein als cogitata der jeweiligen cogitationes, ein Hauptthema der phänomenologischen Deskription sein müssen. Aber was macht dann den abgrundtiefen Unterschied zwischen phänomenologischen Urteilen über die Erfahrungswelt und den natürlich-objektiven? Die Antwort kann so gegeben werden: Als phänomenologisches ego bin ich zum reinen Zuschauer meiner selbst geworden und nichts habe ich in Geltung als was ich als von mir selbst unabtrennbar, als mein reines Leben und als von diesem selbst Unabtrennbares finde, und zwar genau so wie ursprüngliche, anschauliche Reflexion mich für mich selbst enthüllt. Als natürlich eingestellter Mensch, wie ich vor der Epoché war, lebte ich naiv in die Welt hinein; erfahrend galt mir ohne weiteres das Erfahrene und daraufhin vollzog ich meine weiteren Stellungnahmen. Das alles aber verlief in mir, ohne daß ich daraufhin gerichtet war; mein Erfahrenes, die Dinge, die Werte, die Zwecke, das war mein Interesse, nicht aber mein erfahrendes Leben, mein Interessiertsein, Stellung-nehmen, mein Subjektives. Auch als natürlich lebendes Ich war ich transzendentales, aber ich wußte davon nichts. Um meines absoluten Eigenseins inne zu werden, mußte ich eben phänomenologische Epoché üben. Durch sie will ich nicht wie Descartes eine Giltigkeitskritik üben, ob ich der Erfahrung, also dem Sein der Welt apodiktisch trauen dürfte, sondern ich will lernen, daß Welt für mich, aber auch wie Welt für mich cogitatum meiner cogitationes ist. Ich will nicht nur überhaupt feststellen, daß das ego cogito apodiktisch dem Für-mich-sein der Welt vorhergeht, sondern mein konkretes Sein als ego voll umfassend kennen lernen und dabei sehen: Mein Sein als natürlich in die Welt Hineinerfahrender und Hineinlebender besteht in einem besonderen transzendentalen Leben, in dem ich das Erfahren naiv gläubig vollziehe, meine naiv erworbene Weltüberzeugung weiterbetätige usw. So besteht die phänomenologische Einstellung mit ihrer Epoché darin, daß ich den denkbar letzten Erfahrungs- und Erkenntnisstandpunkt gewinne, auf dem ich zum unbeteiligten Zuschauer meines natürlich-weltlichen Ich und Ich-Lebens werde, das dabei nur ein besonderes Stück oder eine besondere Schichte meines enthüllten transzendentalen Lebens ist. Unbeteiligt bin ich insoferne, als ich aller weltlichen Interessen, die ich darum doch habe, insoferne mich «enthalte», als Ich - der Philosophierende - mich über sie stelle und ihnen zuschaue, sie als Themen der Beschreibung nehme wie überhaupt mein transzendentales ego.

     So vollzieht sich mit der phänomenologischen Reduktion eine Art Ich-Spaltung: Der transzendentale Zuschauer stellt sich über sich selbst, sieht sich zu und sieht sich auch als dem vordem welthingegebenen Ich zu, findet also in sich als cogitatum sich als Menschen und findet an den zugehörigen cogitationes das <das> gesamte Weltliche ausmachende transzendentale Leben und Sein. Hat der natürliche Mensch (darin das Ich, das letztlich zwar transzendental ist, aber davon nichts weiß) eine in naiver Absolutheit seiende Welt und Weltwissenschaft, so hat der seiner als transzendentales Ich bewußt gewordene transzendentale Zuschauer die Welt nur als Phänomen, das sagt als cogitatum der jeweiligen cogitatio, als Erscheinendes der jeweiligen Erscheinungen, als bloßes Korrelat.

     Wenn die Phänomenologie Bewußtseinsgegenstände thematisch hat und welcher Art immer, ob reale oder ideale, so hat sie diese nur als Gegenstände der jeweiligen Bewußtseinsweisen; die Beschreibung, die die konkret-vollen Phänomene der cogitationes erfassen will, muß beständig von der gegenständlichen Seite auf die Bewußtseinsseite zurückblicken und die hier durchgängig bestehenden Zusammengehörigkeiten verfolgen. Habe ich z.B. das Wahrnehmen eines Hexaeders als Thema, so merke ich in der reinen Reflexion, daß das Hexaeder kontinuierlich als gegenständliche Einhelt gegeben ist in einer vielgestaltigen und bestimmt zugehörigen Mannigfaltigkeit von Erscheinungsweisen. Dasselbe Hexaeder - dasselbe Erscheinende, bald von dieser oder jener Seite, bald in diesen, bald in jenen Perspektiven, bald in Naherscheinungen, bald in Fernerscheinungen, bald in großer Klarheit und Bestimmtheit, bald in geringer. Doch fassen wir irgendeine gesehene Hexaederfläche ins Auge, irgendeine Kante oder Ecke, irgendeinen Farbfleck, kurz irgendwelches Moment des gegenständlichen Sinnes, so merken wir für ein jedes dasselbe: Es ist Einheit einer Mannigfaltigkeit immer wieder abzuwechselnder Erscheinungsweisen, ihrer besonderen Perspektiven besonderen Unterschiede des subjektiven Hier und Dort. Geradehin gesehen finden wir die beständig identische unveränderte Farbe aber auf die Erscheinungsweisen reflektierend erkennen wir, daß sie nichts anderes ist, anders gar nicht denkbar ist, denn als sich bald in den, bald in jenen Farbenabschattungen darstellend. Immer haben wir Einheit nur als Einheit aus Darstellung, die die Darstellung ist der Sich-selbst-Darstellung von Farbe oder Darstellung von Kante.

     Das cogitatum ist nur in der besonderen Weise des cogito möglich. Fangen wir nämlich an, das Bewußtseinsleben ganz konkret zu nehmen und beständig nach beiden Seiten und ihren intentionalen Zusammengehörigkeiten beschreibend zu blicken, so eröffnen sich wahre Unendlichkeiten und immer neue, nie geahnte Tatsachen treten hervor. Dahin gehören die Strukturen der phänomenologischen Zeitlichkeit. Schon wenn wir innerhalb des Bewußtseinstypus, der da Dingwahrnehmung heißt, verbleiben, verhält es sich so. Jeweils ist sie lebendig als ein Dahindauern, ein zeitliches Dahinströmen des Wahrnehmens und Wahrgenommenen. Dieses strömende Sich-fort-erstrecken, diese Zeitlichkeit ist etwas zum transzendentalen Phänomen selbst wesentlich Gehöriges. Jede Teilung, die wir hineindenken, ergibt wieder Wahrnehmung desselben Typus, von jeder Strecke, von jeder Phase sagen wir dasselbe: das Hexaeder sei wahrgenommen. Aber diese Identität ist ein immanenter deskriptiver Zug eines solchen intentionalen Erlebnisses und seiner Phasen, es ist ein Zug im Bewußtsein selbst. Die Stücke und Phasen der Wahrnehmung sind nicht äußerlich aneinandergeklebt, sie sind einig, wie eben Bewußtsein und wieder Bewußtsein einig ist, und zwar einig im Bewußtsein von demselben. Nicht sind erst Dinge und werden dann in das Bewußtsein hineingesteckt, so daß dasselbe da und dort hineingesteckt ist, sondern Bewußtsein und Bewußtsein, ein cogito und ein anderes verbinden sich zu einem beide einigenden cogito, das als ein neues Bewußtsein wieder Bewußtsein von etwas ist, und zwar ist es die Leistung dieses synthetischen Bewußtseins, daß in ihm bewußt wird <dasselbe>, das Eine als Eines.

     Wir stoßen hier an einem Beispiel auf das Einzigartige der Synthesis als Grundeigentümlichkeit des Bewußtseins, und mit ihr tritt zugleich der Unterschied zwischen reellen, und ideellen, bloß intentionalen Gehalten des Bewußtseins hervor. Der Wahrnehmungsgegenstand ist, phänomenologisch betrachtet, nicht ein reelles Stück im Wahrnehmen und dessen dahinströmenden synthetisch sich einigenden Perspektiven und sonstigen Erscheinungsmannigfaltigkeiten. Zwei Erscheinungen, die sich mir vermöge einer Synthesis geben als Erscheinungen von demselben, sind reell getrennt, haben als getrennte reell kein Datum gemein, sie haben höchstens ähnliche und gleiche Momente. Dasselbe gesehene Haxaeder ist intentional dasselbe; das, was sich als Räumlich-Reales gibt, ist im mannigfaltigen Wahrnehmen ein Idealidentisches, Identisches der Intention, den Bewußtseinsweisen den Ich-Akten immanent, nicht als reelles Datum, sondern als gegenständlicher Sinn. Dasselbe Hexaeder mag mir dann auch in verschiedenen Wiedererinnerungen, Erwartungen, klaren oder leeren Vorstellungen als dasselbe Intentionale sein, identisches Substrat für Prädikationen, für Wertungen usw. Immer liegt diese Selbigkeit im Bewußtseinsleben selbst und wird erschaut durch Synthesis. So geht durch das ganze Bewußtseinsleben hindurch die Bewußtseinsbeziehung auf Gegenständlichkeit, und diese enthüllt sich als eine Wesenseigenheit jedes Bewußtseins, in immer neue Bewußtseinsweisen und sehr verschiedenartige synthetisch übergehen zu können zum Einheitsbewußtsein von demselben.

     Im Zusammenhang damit steht, daß kein einzelnes cogito im ego isoliert ist, sosehr, daß sich schließlich zeigt, daß das ganze universale Leben in seinem Fluktuieren, seinem Heraklitischen Fluß eine universale synthetische Einheit ist. Ihr ist es zutiefst zu danken, daß das transzendentale ego nicht nur ist, sondern für sich selbst ist, eine überschaubare konkrete Einheit, einheitlich lebend in immer neuen Modi des Bewußtseins und doch einheitlich und in der Form der immanenten Zeit sich beständig objektivierend.

     Aber nicht nur das. Ebenso wesentlich als Aktualität des Lebens ist auch Potentialität, und diese Potentialität ist nicht eine leere Möglichkeit. Jedes cogito, z. B. eine äußere Wahrnehmung oder eine Wiedererinnerung usw. trägt in sich selbst und enthüllbar eine ihm immanente Potentialität möglicher und auf denselben intentionalen Gegenstand beziehbarer und vom Ich her zu verwirklichender Erlebnisse. In jedem finden wir, wie die Phänomenologie sagt, Horizonte, und in verschiedenem Sinn. Die Wahrnehmung schreitet fort und zeichnet einen Erwartungshorizont vor als einen Horixont der Intentionalität, vorweisend auf Kommendes als Wahrgenommenes, also auf künftige Wahrnehmungsreihen. Aber jede führt auch Potentialitäten mit sich, wie das «Ich könnte statt dahin dorthin blicken», könnte den Wahrnehmungsverlauf von demselben statt so anders dirigieren. Jede Wiedererinnerung verweist mich auf eine ganze Kette von möglichen Wiedererinnerungen bis zum aktuellen Jetzt und an jeder Stelle der immanenten Zeit auf zu enthüllende Mitgegenwärtigkeiten usw.

     Das alles sind intentionale und von Gesetzen der Synthesis beherrschte Strukturen. Jedes intentionale Erlebnis kann ich befragen und das sagt, ich kann in seine Horizonte eindringen, sie auslegen und damit enthülle ich einerseits Potentialitäten meines Lebens, andererseits kläre ich in gegenständlicher Hinsicht den gemeinten Sinn.

     So ist intentionale Analyse etwas total anderes als Analyse im gewöhnlichen Sinne. Das Bewußtseinsleben - und das gilt schon für die reine Innenpsychologie als Parallele zur transzendentalen Phänomenologie - ist nicht ein bloßer Zusammenhang von Daten, weder ein Haufen psychischer Atome, noch ein Ganzes von Elementen, die durch Gestaltqualitäten einig sind. Intentionale Analyse ist Enthüllung der Aktualitäten und Potentialitäten, in denen sich Gegenstände als Sinneseinheiten konstituieren, und alle Sinnesanalyse selbst vollzieht sich im Übergang von den reellen Erlebnissen in die in ihnen vorgezeichneten intentionalen Horizonte.

     Diese späte Einsicht schreibt der phänomenologischen Analyse und Deskription eine total neue Methodik vor, eine Methodik, die überall in Aktion tritt, wo Gegenstand und Sinn, wo Seinsfragen, Möglichkeitsfragen, Ursprungsfragen, Rechtsfragen ernstlich angegriffen werden sollen. Jede intentionale Analyse greift über das momentan und reell gegebene Erlebnis der immanenten Sphäre hinaus, und zwar so, daß sie Potentialitäten enthüllend, die jetzt reell und horizontmäßig angezeigt sind, Mannigfaltigkeiten neuer Erlebnisse herausstellt, in denen klar wird, was nur implizite gemeint und in dieser Weise schon intentional war. Sehe ich ein Hexaeder, so sage ich gleich: Ich sehe es wirklich und eigentlich nur von einer Seite. Und es ist doch evident, daß, was ich jetzt wahrnehme, mehr ist, daß die Wahrnehmung eine Meinung, obschon eine unanschanliche, in sich schließt, durch die die gesehene Seite als bloße Seite ihren Sinn hat. Aber wie enthüllt sich diese Mehrmeinung, wie wird es eigentlich erst evident, daß ich mehr meine? Doch durch Übergang in eine synthetische Folge von möglichen Wahrnehmungen, wie ich sie haben würde, wenn ich, wie ich kann, um das Ding herumgehen würde. Die Phänomenologie legt beständig das Meinen, die jeweilige Intentionalität auseinander, indem sie solche sinnerfüllende Synthesen herstellt. Die universale Struktur des transzendentalen Bewußtseinslebens in seiner Sinnbezogenheit und Sinnbildung auslegen, das ist die ungeheure Aufgabe, die der Deskription gestellt ist.

     Natürlich bewegt sich die Forschung in verschiedenen Stufen. Sie wird nicht etwa dadurch gehindert, daß hier das Reich des subjektiven Flusses ist, und daß es ein Wahn wäre, hier in einer Methodik der Begriffs- und Urteilsbildung verfahren zu wollen, die für die objektiven, exakten Wissenschaften die maßgebende ist. Gewiß das Bewußtseinsleben ist im Fluß, und jedes cogito ist fließend, ohne fixierbare letzte Elemente und letzte Relationen. Aber im Fluß herrscht eine sehr wohl ausgeprägte Typik. Wahrnehmung ist ein allgemeiner Typus, Wiedererinnerung ein anderer Typus, Leerbewußtsein und zwar retentionales, wie ich es von einem Stück der Melodie habe, das ich nicht mehr höre, aber noch im Bewußtseinsfeld habe, in Unanschaulichkeit und doch dieses Melodie-Stück - dergleichen sind allgemeine, scharf ausgeprägte Typen, die sich wieder ebenso besondern zum Typus Raumding-Wahrnehmung und Typus Wahrnehmung eines Menschen, des psychophysischen Wesens.

     Jeden solchen Typus kann ich, allgemein beschreibend, nach seiner Struktur befragen, und zwar seiner intentionalen Struktur da es eben ein intentionaler Typus ist. Ich kann fragen, wie der eine in einen anderen übergeht, wie er sich bildet, sich abwandelt, welche Formen intentionaler Synthese in ihm notwendig liegen, welche Formen von Horizonten er notwendig in sich schließt, welche Enthüllungsformen und Erfüllungsformen zu ihm gehören. Das ergibt also transzendentale Theorie der Wahrnehmung, das ist intentionale Analyse der Wahrnehmung, transzendentale Theorie der Erinnerung und des Zusammenhangs der Anschauungen überhaupt, aber auch transzendentale Urteilstheorie, Willenstheorie usw. Immer kommt es darauf an, nicht wie objektive Tatsachenwissenschaften bloße Erfahrung <zu> betätigen und das Erfahrungsdatum reell zu analysieren, sondern den Linien intentionaler Synthese nachzugehen, wie sie intentional und horizontmäßig vorgezeichnet sind, wobei die Horizonte selbst aufgewiesen, dann aber auch enthüllt werden müssen.

     Da schon jedes einzelne cogitatum vermöge seiner transzendental-immanenten Zeiterstreckung eine Identitätssynthese ist, ein Bewußtsein vom kontinuierlich selben, spielt der eine Gegenstand schon einige Rolle als transzendentaler Leitfaden für die subjektiven Mannigfaltigkeiten, die ihn konstituieren. Aber bei der Überschau über die allgemeinsten Typen von cogitata und ihre allgemeine intentionale Deskription ist es doch wieder gleichgültig, ob dabei diese oder jene Gegenstände die wahrgenommenen oder erinnerten und dergl. sind.

     Nehmen wir aber das Phänomen der Welt, die im synthetisch-einheitlich dahinfließenden Strom der Wahrnehmungen auch als Einheit bewußt ist, als Thema, bzw. diesen wundersamen Typus universale Weltwahrnehmung, und fragen wir, wie es intentional zu verstehen ist, daß eine Welt für uns da ist, da halten wir konsequent den synthetischen Gegenstandstypus Welt, natürlich als cogitatum, fest und als Leitfaden für die Entfaltung der Unendlichkeitsstruktur der Erfahrungsintentionalität von der Welt. Dabei haben wir einzugehen auf die Einzeltypik. Die Erfahrungswelt rein als erfahrene, immer in der phänomenologischen Reduktion, gliedert sich in identisch verharrende Objekte. Wie sieht die besondere Unendlichkeit wirklicher und möglicher Wahrnehmungen aus, die zu einem Objekt gehören? Und so für jeden allgemeinen Objekttypus. Wie sieht die Horizontintentionalität aus, ohne die ein Objekt nicht Objekt sein könnte - verweisend auf den Weltzusammenhang, von dem, wie die Analyse der Intentionalität selbst aufweist, kein Objekt wegdenkbar ist usw. Und so für jeden besonderen Objekt-Typus, der möglicherweise der Welt zugehört.

     Die ideelle Festhaltung eines intentionalen Gegenstandstypus bedeutet, wie man bald sieht, eine Organisation oder Ordnung in den intentionalen Untersuchungen. Mit anderen Worten: Die transzendentale Subjektivität ist nicht ein Chaos von intentionalen Erlebnissen, sondern eine Einheit der Synthese, und einer vielstufigen Synthese in der immer neue Objekttypen und Einzelobjekte konstituiert sind. Jedes Objekt aber bezeichnet eine Regelstruktur für die transzendentale Subjektivität.

 
 
 
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